Die Geschichte unseres Familiennamens

Wie das „h“ in den Namen Giehsauer kam

Giessauer, Gießauer und Giehsauer

Namen wurden früher oft nach Gehör geschrieben, daher tauchen im Laufe der Zeit oft mehrere Varianten desselben Namens auf. Während der eine Pfarrer oder Standesbeamte Tobler verstand, schrieb ein anderer den Namen als Doppler. Ein Schreiber schrieb Kainrath, ein anderer hielt Kainrad für richtig. Oder eine Familie, die gerade noch Kirner hieß, trug plötzlich den Namen Kürner. Wer die Aussprache unseres Familiennamens Giehsauer kennt, wird aber feststellen dass die eigentümliche Schreibung mit h sprachlich keinen Sinn ergibt. Ein stummes h würde den Laut i dehnen, das i im Namen Giehsauer wird jedoch kurz ausgesprochen und stattdessen das s betont. Man würde der Aussprache folgend also eher Giessauer oder Gießauer schreiben. Was macht das h in Giehsauer?

Ein Blick in die Kirchenbücher

Über viele Jahrhunderte hatten die Kirchen die Funktion der heutigen Standesämter inne und erfassten in Matrikenbüchern Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle der jeweiligen Pfarre. Diese Bücher sind heute digitalisiert und öffentlich einsehbar, so auch die Matriken der Pfarre St. Valentin-Landschach, die uns einen Einblick in die Geschichte der Familie Giehsauer erlauben. Tatsächlich findet man dort hauptsächlich die Varianten Giessauer bzw. Gießauer vor. Keine Spur von einem h.

Langes und rundes „s“

Geschrieben wurden die Kirchenbücher meist in der deutschen Schreibschrift, der Kurrentschrift. Diese weist genauso wie die gedruckte Fraktur-Schrift eine Besonderheit auf: Es gibt zwei verschiedene Formen des Buchstabens s, das lange ſ und das runde s. Das Lang-ſ wurde am Anfang und in der Mitte von Silben oder Wörtern verwendet, das runde s (auch Schluss-s) am Ende. Nach diesen Regeln würde man die Wörter Mostwirtshaus und Gaststube folgendermaßen schreiben:

Standen in Wörtern wie Giessauer zwei s nebeneinander, wurde das erste als langes ſ und das zweite als rundes s geschrieben: Gieſsauer. Aus dieser Kombination ſs ging später vermutlich das Zeichen ß für das scharfe s hervor. Je nachdem, ob man beide s jeweils einzeln übersetzt, oder die gesamte Kombination, erhält man heute die Formen Giessauer oder Gießauer. Ein h haben wir noch immer nicht gefunden.

Transkription in die lateinische Schreibschrift

Neben der deutschen Kurrentschrift gibt es auch die lateinische Kursivschrift, die in Kirchenbüchern verwendet wurde, um Namen besonders hervorzuheben. Von unseren Vorfahren gibt es Einträge, in denen der Name in der lateinischen Schreibschrift abgefasst wurde und wenige Zeilen später auch in der deutschen Kurrentschrift als Gießauer vorkommt. Wenn wir die lateinischen Ausschnitte daraus betrachten und mit dem Kurrent-h vergleichen, springt es uns sofort ins Auge: Da steht plötzlich ein h im Namen! Hat dieser Pfarrer zu viel vom Messwein erwischt?

Kenner der deutschen Kurrentschrift können gar nicht anders, als hier ein vermeintliches h zu erkennen. Doch in Wirklichkeit steht da ein langes ſ geschrieben! (Ein h in der lateinischen Schreibschrift hätte wie unser heutiges h ausgesehen.) Da in der lateinischen Schreibschrift das ß erst später eingeführt wurde, mussten Namen, die in der deutschen Schreibschrift bereits mit ß geschrieben wurden, wieder mit einem Lang-ſ und einem Rund-s transkribiert werden. Die Tücke lag nun in der Ähnlichkeit zwischen dem langen ſ der lateinischen Kursivschrift und dem h in der deutschen Kurrentschrift. Da diese beiden Zeichen grafisch übereinstimmten, wurde die ſs-Gruppe der lateinischen Schreibschrift oft als hs missgedeutet.

Fehlinterpretation von „ſs“ als „hs“

Die Ursache für die Schreibweise unseres Familiennamens Giehsauer mit hs liegt also in der Fehlinterpretation der Zeichenkombination ſs als hs. Der Fehler entstand dadurch, dass dasselbe Schriftzeichen mit den beiden Schlingen sowohl in der lateinischen als auch in der deutschen Schreibschrift vorkommt, jedoch in unterschiedlichen Bedeutungen (ſ versus h). Praktisch alle Namen, die man heute mit den Buchstaben hs geschrieben findet, lassen sich auf diesen Lesefehler zurückführen. Die Verwechslung hat sich in den ungewöhnlichen Schreibweisen etlicher Familiennamen niedergeschlagen, beispielsweise Gneihs statt Gneiß, Hahslinger statt Haßlinger, Spiehs statt Spieß, oder Weihs statt Weiß. Die Familie Giehsauer trägt das h stolz im Namen und kann damit eine interessante Geschichte von den Tücken der alten Schreibschriften erzählen.